Stockwerkeigentum bedeutet mehr als nur einen Anteil am Grundstück zu besitzen: Es verleiht den Eigentümerinnen und Eigentümern ein Sonderrecht, bestimmte Teile eines Gebäudes – meist eine Wohnung oder Geschäftsräume – ausschliesslich zu nutzen und innen nach eigenen Vorstellungen auszugestalten.
Innerhalb dieser Räume geniessen Stockwerkeigentümer grosse Freiheit. Gleichzeitig gelten klare Spielregeln: Niemand darf die Rechte der anderen beeinträchtigen oder gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen und Einrichtungen beschädigen bzw. in ihrer Funktion oder im Erscheinungsbild verändern. Zudem besteht die Pflicht, die eigenen Räume so zu unterhalten, dass das Gebäude insgesamt in gutem Zustand und gepflegtem Erscheinungsbild erhalten bleibt. Geregelt wird das Miteigentum mit Sonderrecht im Schweizerischen Zivilgesetzbuch.
1. Was bedeutet Stockwerkeigentum?
Rein rechtlich handelt es sich beim Stockwerkeigentum nicht um ein Sondereigentum, sondern um Miteigentum mit einer besonderen Ausprägung. Jeder Stockwerkeigentümer hält einen Miteigentumsanteil am Grundstück (vgl. Art. 655 ZGB). Dieser Anteil ist aber untrennbar mit einem Sonderrecht verbunden, das die ausschliessliche Nutzung bestimmter Räume erlaubt.
Beispiel: In einem Mehrfamilienhaus besitzen alle Eigentümer gemeinsam die Fassade, das Dach oder das Treppenhaus. Zugleich hat jeder Eigentümer das alleinige Sonderrecht an seiner Wohnung oder seinem Büro.
Wesentlich ist dabei die Abgeschlossenheit (Art. 712b ZGB): Nur baulich klar getrennte Räume können einem Sonderrecht zugewiesen werden. Möglich sind sowohl horizontale Einheiten (z. B. Wohnungen übereinander) als auch vertikale Aufteilungen (z. B. Reihenhäuser).
Beispiel: Eine Garage mit festen Wänden und einem eigenen Tor kann ins Sonderrecht fallen. Ein offener Autounterstand hingegen gilt nicht als abgeschlossener Raum und bleibt gemeinschaftlich.
2. Der Inhalt des Sonderrechts
a) Nutzung und Gebrauch
Das Herzstück des Sonderrechts ist die exklusive Nutzungsmöglichkeit. Der Eigentümer darf seine Einheit selbst bewohnen, vermieten oder in anderer Form nutzen. Auch eine gewerbliche Nutzung ist denkbar – sofern sie mit der Zweckbestimmung der Liegenschaft vereinbar ist.
Beispiel: Herr Schmid möchte seine Eigentumswohnung als Zahnarztpraxis nutzen. Da die Liegenschaft im Reglement nur zu Wohnzwecken bestimmt ist, müsste er zuerst die Zustimmung aller Stockwerkeigentümer einholen.
Die Zweckbestimmung ist zentral: Sie wird in der Regel im Begründungsakt oder im Reglement festgelegt und kann auch die Art der Nutzung beschränken (z. B. nur Wohnzwecke). Änderungen sind nur mit qualifizierten Mehrheiten oder sogar Einstimmigkeit möglich (vgl. Art. 648 Abs. 2 i.V.m. Art. 712g Abs. 1 ZGB).
b) Verwaltung
Zum Sonderrecht gehört auch die Befugnis, die eigene Einheit selbst zu verwalten. Das umfasst alle tatsächlichen und rechtlichen Handlungen, die der Erhaltung, Verbesserung oder zweckgerechten Nutzung dienen.
Beispiel: Die Familie Meier beschliesst, in ihrer Wohnung neue Fenster einzubauen, die den Lärm besser dämmen. Diese Entscheidung liegt in ihrer Verantwortung, solange die Fassade nicht verändert wird.
Eine generelle Übertragung dieser Befugnis an die Gemeinschaft oder den Verwalter ist unzulässig – einzelne Aufgaben können aber delegiert werden.
c) Bauliche Ausgestaltung
Der Eigentümer darf seine Räume innen ausbauen, z. B. durch das Versetzen nichttragender Wände oder den Einbau neuer Installationen. Grenzen bestehen dort, wo gemeinschaftliche Teile beeinträchtigt oder die äussere Erscheinung verändert werden. Auch öffentlich-rechtliche Bauvorschriften und nachbarrechtliche Regeln sind zu beachten.
Beispiel: Frau Steiner zieht in ihrer Wohnung eine neue Zwischenwand ein, um ein zusätzliches Kinderzimmer zu schaffen. Das ist erlaubt. Würde sie aber die Fensterfront zur Fassade hin verändern, bräuchte sie die Zustimmung der Gemeinschaft.
3. Gesetzliche Schranken und Pflichten
Wie bei jedem Eigentum gilt auch im Stockwerkeigentum das Prinzip der schonenden Rechtsausübung. Nach Art. 712a Abs. 2 und 3 ZGB dürfen Stockwerkeigentümer:
• die Rechte der anderen nicht behindern,
• gemeinschaftliche Teile nicht beschädigen oder beeinträchtigen,
• und müssen ihre Räume so unterhalten, dass das Gebäude in gutem Zustand bleibt.
Beispiel: Ein Eigentümer muss eine defekte Wasserleitung in seiner Wohnung rasch reparieren lassen, um Schäden am Gesamtgebäude zu verhindern.
Damit wird das individuelle Sonderrecht mit einer Realobligation verbunden: Die Pflicht zur Instandhaltung dient den Interessen aller Miteigentümer.
4. Verfügungsrechte über den Anteil
Ein Stockwerkeigentumsanteil ist ein selbständiges Objekt des Rechtsverkehrs (Art. 655 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB). Der Anteil kann wie ein Grundstück verkauft, verschenkt oder belastet werden. Damit unterscheidet sich das Stockwerkeigentum vom blossen Miteigentum, bei dem solche Transaktionen oft nur gemeinsam möglich sind.
Beispiel: Herr und Frau Berger möchten ihre Eigentumswohnung verkaufen. Sie können dies ohne Zustimmung der anderen Miteigentümer tun – der Käufer tritt einfach in ihre Stellung ein.
• Veräusserung: Jeder Eigentümer darf seinen Anteil übertragen – samt den im Reglement zugewiesenen Sondernutzungsrechten (z. B. Parkplatz).
• Belastung: Belastungen mit Grundpfandrechten oder Dienstbarkeiten sind zulässig, solange sie die Interessen der Gemeinschaft nicht verletzen.
• Pfandrechte: Auch ein gesetzliches Pfandrecht (z. B. Bauhandwerkerpfandrecht) kann an einem Stockwerkeigentumsanteil bestehen.
Beispiel: Frau Baumgartner nimmt eine Hypothek auf ihre Wohnung auf. Als Sicherheit wird ein Grundpfandrecht ins Grundbuch eingetragen. Das betrifft nur ihren Anteil, nicht die Wohnungen der anderen Eigentümer.
5. Schutz der Individualrechte
Ein wesentlicher Vorteil des Stockwerkeigentums liegt darin, dass jeder Eigentümer in Bezug auf sein Sonderrecht über die gleichen Klagerechte verfügt wie ein Alleineigentümer einer Liegenschaft. Die einschlägige gesetzliche Grundlage findet sich in Art. 641 ZGB, wonach der Eigentümer „alles abwehren kann, was sein Eigentum beeinträchtigt oder verletzt“.
Diese Rechte sind nicht nur gegenüber Dritten relevant (z. B. Nachbarn, die gar nicht im Haus wohnen), sondern auch innerhalb der Stockwerkeigentümergemeinschaft selbst. Konflikte entstehen häufig dort, wo die Grenze zwischen Sonderrecht und gemeinschaftlichen Teilen verläuft oder wo jemand die Rücksichtnahme missachtet.
Wichtige Klagearten:
1. Eigentumsklage (Vindikation)
Mit dieser Klage kann der Eigentümer die Herausgabe seines Eigentums verlangen, wenn es ihm vorenthalten wird.
Beispiel: Ein Miteigentümer lagert Baumaterial im Kellerabteil eines anderen, das im Sonderrecht steht. Der betroffene Eigentümer kann Herausgabe verlangen.
2. Abwehrklage bei Störungen (actio negatoria)
Diese Klage dient dazu, eine Beeinträchtigung des Eigentums zu beseitigen und für die Zukunft zu unterlassen.
Beispiel: Ein Nachbar stellt ohne Zustimmung Fahrräder im gemeinschaftlichen Eingangsbereich ab und blockiert den Zugang. Ein anderer Eigentümer kann mit der actio negatoria dagegen vorgehen und die Entfernung der Fahrräder verlangen.
Weiteres Beispiel: Ein Eigentümer montiert eine Satellitenschüssel an der Fassade, die zum Gemeinschaftseigentum gehört, ohne Bewilligung der Gemeinschaft. Auch hier kann eine Abwehrklage erhoben werden.
3. Besitzesschutzklagen
Diese stehen dem Besitzer unabhängig vom Eigentumstitel zu und schützen vor verbotener Eigenmacht. Es geht darum, den rechtmässigen Besitz zu sichern und Eingriffe sofort zu unterbinden.
Beispiel: Ein Eigentümer verschafft sich eigenmächtig Zugang zur Wohnung eines anderen und lagert dort Möbel ein. Der betroffene Besitzer kann sich mit einer Besitzesschutzklage wehren, ohne zuerst sein Eigentum beweisen zu müssen.
Praktische Bedeutung im Stockwerkeigentum:
In der Praxis sind diese Klagerechte deshalb so wichtig, weil sie individuell und unabhängig von der Gemeinschaft geltend gemacht werden können. Der einzelne Eigentümer ist also nicht darauf angewiesen, dass die Verwaltung oder die Gemeinschaft aktiv wird, sondern kann seine Rechte eigenständig durchsetzen.
Gerade in Mehrfamilienhäusern, wo unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen, bietet dies einen wirksamen Schutz vor unzulässigen Eingriffen, sei es durch:
• bauliche Veränderungen (z. B. eigenmächtiger Anbau auf Gemeinschaftsflächen),
• unzumutbare Nutzungen (z. B. gewerbliche Tätigkeiten in einer Wohnung trotz Wohnnutzung), oder
• Behinderungen des Zugangs (z. B. abgestellte Gegenstände im Treppenhaus).
Grenzen des Rechtsschutzes
Natürlich sind die Individualrechte nicht grenzenlos. Sie dürfen nicht missbräuchlich ausgeübt werden, etwa um andere Eigentümer systematisch zu schikanieren. Zudem gilt auch hier das Prinzip der schonenden Rechtsausübung (Art. 2 ZGB), sodass immer eine Abwägung der Interessen vorzunehmen ist.
Fazit
Das Stockwerkeigentum verbindet gemeinschaftliches Eigentum mit individueller Freiheit. Das Sonderrecht ermöglicht die exklusive Nutzung und Gestaltung einzelner Einheiten, während die gemeinschaftlichen Teile zusammen verwaltet und unterhalten werden. Gleichzeitig bestehen klare Schranken, um Konflikte zu vermeiden und das Gebäude als Ganzes zu erhalten.
Wer eine Eigentumswohnung kauft, sollte sich deshalb nicht nur mit seiner eigenen Einheit beschäftigen, sondern auch die Regeln der Gemeinschaft – Reglement, Hausordnung und Zweckbestimmung – genau studieren. Nur so lassen sich spätere Überraschungen und Konflikte vermeiden.